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Bingen am anderen Ufer

Ambivalente Nachbarschaft mit Folgen

Für die Darstellung des Klosters in seinem Umfeld ist es natürlich auch wichtig, die Stadt Bingen auf der anderen Seite der Nahe in seiner Anlage im 12. Jahrhundert zu kennen.
Die Nachbarschaft mit Bingen, der damals schon tausendjährigen Stadt an der Nahtstelle zwischen Köln, Trier, Mainz und der Pfalz, war mit ihrer Öffnung zur Welt neben der Grabstätte des hl. Rupert am anderen Ufer für Hildegard ein attraktiver Ort für den Aufbau eines eigenen Klosters.

Stadtherr Bingens im Mittelalter war zunächst der Erzbischof von Mainz (seit 983). Im Hochmittelalter zählte Bingen zu dem damals noch sehr überschaubaren Kreis bedeutender städtischer Siedlungen. Davon zeugen die Stadtmauer und das seit 1148 belegte Stadtgericht, das auch zum Ausgangspunkt für die entstehende bürgerliche Selbstverwaltung wurde. 1)
Als es den Römern im 4. Jahrhundert am Rhein mulmig wurde und sie diverse angriffslustige Germanen zu fürchten begannen, gruben sie tiefe Gräben und zogen dahinter Mauern hoch. Auch Bingium wurde befestigt, was ein spätantiker Chronist berichtet. Die Siedlungsfläche wurde verkleinert, um sie besser schützen und verteidigen zu können.

Im 12. Jahrhundert wurde erneut eine Stadtmauer angelegt, breiter und der Vergrößerung der Stadt angemessen. Es war die Zeit, als die heilige Hildegard nach Bingen kam. Sie konnte ab 1150 den Bau vom Rupertsberg aus beobachten. 2)
Diese Tatsache bekommt, betrachtet man die gemeinsame Geschichte der Stadt und des Klosters fast eine ironische Bedeutung, denn trotz der Hoffnungen der Äbtissin auf Anschluss, verlief die Nachbarschaft nicht immer konfliktfrei.

Klöster waren zu der Zeit der Wirkungsort adeliger Töchter und über das Vermögen, dass das die jeweils 10ten Kinder von ihren begüterten Familien bei der Oblation (Übergabe des Kindes in die klösterliche Obhut) an das Kloster abtreten mussten, waren diese Wirkungsorte auch Wirtschaftsunternehmen, die durchaus in Konkurrenz zu Städten in der Umgebung lagen.
Dass Klöster aber auch streitbare Institutionen waren, zeigte sich spätestens im Konflikt mit der Mainzer Bistumsverwaltung, die über das Kloster Rupertsberg 1178 das Interdikt verhängte, weil Hildegard von Bingen einen exkommunizierten Edelmann, auf ihrem Friedhof bestatten ließ. 3)

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Symbol des Konfliktes

Das abgeschrägte Notdach als Merkmal

Von der Beziehung des Rupertsberger Klosters zur Stadt Bingen ist ebenfalls bekannt, dass insbesondere nach dem Tode Hildegards, oft Streit bestand über die Nutzung gemeinsamer Wald- und Weideflächen und die späteren Nonnen des Rupertsberges zum Teil eine eigene Auslegung von Vereinbarungen pflegten.
In einem Streit im Jahr 1249 mit der Stadt Bingen um einen Garten an der Nahe, der ehemals dem Kloster Eberbach gehörte, in dem die Binger das Kloster auf dem Rupertsberg angriffen und beschädigten.. ist die wahrscheinliche Ursache für das abgeschrägte Notdach des Nordturms zu sehen. 4))

So wurde dieses prägnante Merkmal der Türme, das in so vielen Stichen und Zeichnungen im späten Mittelalter, bis hin zur Darstellung auf dem Isenheimer Altar ein sicheres Wiedererkennungsmerkmal darstellt zum Symbol für die Konflikte. 5)

Im Zuge politischer Unruhen und einem einsetzenden Verfall monastischer Kultur und Disziplin sowohl im Rupertsberg als auch im St. Martins Stift in Bingen, flohen viele Nonnen aufgrund der strengen Reformvorhaben durch Erzbischof von Henneberg aus dem Kloster zu ihren Familien.
Als in Bingen schließlich das Gerücht aufkam, der Kurfürst von der Pfalz wolle mit Gewalt das Kloster Rupertsberg an sich reißen, wurde von Binger Seite sofort alles zur Gegenwehr bereitet. Dazu ließ man dreihundert Mann zu seiner Besetzung aus dem Rheingau kommen. Diese brannten zunächst einige Gebäude nieder und brachen die Umfassungsmauern des Klosters ab, da sie angeblich die Verteidigung des Klosters behinderten. Dann zogen sie Gräben und errichteten etliche Bollwerke darauf. So erwarteten sie den Angriff des Pfalzgrafen, bis sie einsehen mussten, dass er nicht erfolgte.6)

Dieser Vorfall brachte dem Kloster Rupertsberg großen Schaden. Der lange Versuch es in seiner ursprünglichen Form und mit seiner ursprünglichen geistigen Kraft wiederherzustellen endete 1632, als die Schweden im Zuge des 30jährigen Krieges das Kloster plünderten und brandschatzten.
[siehe: Geschichte des Klosters]

Quellen:
1) www.bingen.de/kultur/museum-am-strom/virtuelles-museum/stadtgeschichte/mittelalter
2) www.allgemeine-zeitung.de/lokales/bingen/stadtmauer
3) www.abtei-st-hildegard.de/abtei-st-hildegard-gott/
4) www.loreley-verlag.de/pressespiegel/66-der-schiefe-turm#genau-das-fehlt-noch-warum-denn-nun-der-turm-schief-geworden-war
5) www.regionalgeschichte.net/rheinhessen/bingerbrueck/kulturdenkmaeler/ehemaliges-kloster-rupertsberg/rupertsbergletzner.html
6) Prof. Dr. Katharina Reidel, Bingen und das Kloster Rupertsberg zwischen 1450 und 1620 (Vortrag 1979)
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